Diakonie – digital und anspruchsvoll

Wie der gesellschaftliche Wandel und die Digitalisierung die Diakonie und die gesamte Sozialwirtschaft verändern – und neue Wettbewerber auf den Plan rufen

Die Götter in Weiß sind keine mehr: Ärzte, aber auch Pflegekräfte und Verwaltungen, können von Lob und Wut ihrer Patienten nun viel unmittelbarer und vor allem transparenter getroffen werden: Das Internet mit Bewertungsplattformen wie jamada.de oder topmedic.de macht es möglich. Auf der Suche nach der bestmöglichen medizinischen Versorgung liest fast jeder zweite Internetnutzer (45 Prozent) zumindest hin und wieder Online-Bewertungen zu Ärzten, Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen, Reha-Kliniken oder anderen medizinischen Einrichtungen.

Das ist aber nur ein erstes, noch sehr oberflächliches Indiz für die Veränderungen, die auf alle Anbieter im Gesundheitsmarkt zukommen, sei es in der medizinischen Betreuung oder in der Pflege: Menschen leben immer seltener in Familien zusammen, arbeiten mal hier mal dort, gesellschaftliche Bindungen zerfallen. Engagement in Kirchen und Vereinen fällt vielen schwer. Was zählt, ist stets nur das nächste, zumeist berufliche Projekt.

Menschen, Pflege, Digitalisierung: In welche Beziehung treten diese Themen in der Gesundheitswirtschaft? Foto: privat
Menschen, Pflege, Digitalisierung: In welche Beziehung treten diese Themen in der Gesundheitswirtschaft? Foto: privat

Auf der anderen Seite werden die Menschen älter. Aber Zeit für die Pflege von Familienangehörigen steht nicht mehr in dem Ausmaß zur Verfügung wie früher. Und die Ansprüche an die Leistungen, die von Dritten gegen Geld abgerufen werden, wachsen – zumal die Menschen immer älter und zugleich selbstbewusster werden, eben weil sie besser informiert sind.

Im Rahmen dieser Spannungsfelder verändern sich die ökonomischen Rahmenbedingungen – auch für diakonische Einrichtungen und Träger. Der Markt wächst, und neue Anforderungen für die Diakonie kommen hinzu, Chancen für völlig neue Anbieter entstehen: Die Berater von Roland Berger rechnen damit, dass sich das Volumen des Weltmarkts für Gesundheitsdienstleitungen durch die Auswirkungen der Digitalisierung von knapp 80 Milliarden Dollar im Jahr 2015 auf mehr als 200 Milliarden Dollar bis zum Jahr 2020 gut verdoppeln wird. Das entspricht einem durchschnittlichen Wachstum von jährlich 21 Prozent. Das klingt gut, muss aber für die traditionellen Anbieter kein automatischer Segen sein.

Grenzen überwinden

„Wir sehen aktuell eine sehr große Dynamik im Gesundheitsmarkt. Junge Start-ups drängen mit neuen Geschäftsmodellen in den Markt“, kommentiert Roland-Berger-Partner Thilo Kaltenbach die Studie. „Gleichzeitig wird kräftig investiert. Allein in den Vereinigten Staaten stieg die Finanzierung von Start-ups im Gesundheitsmarkt im Jahr 2015 um 4,5 Milliarden Dollar.“ Und auch Europa bleibe sehr attraktiv für die Gründerszene. Mehr als 20 Inkubatoren und zahlreiche Industrieinitiativen schafften ein sehr gutes Umfeld. Die neuen Anbieter würden damit zur direkten Konkurrenz für die traditionellen Unternehmen der gesamten Wertschöpfungskette.




Deshalb sind alle Unternehmen, die Diakonie, aber auch Ärzte, Apotheker, Patienten und Regierungen, vom digitalen Wandel im Gesundheitsmarkt betroffen. So entwickeln Pharmakonzerne zusammen mit großen Technologieanbietern bereits heute neue Produkte, um die Wirkung ihrer Medikamente zu testen. Die digitale Auswertung von Gesundheitsdaten könnte zu einer individuellen Medikation des Patienten führen, ohne dass dafür Ärzte oder Apotheker oder Pflegekräfte konsultiert werden müssen. Gleichzeitig werden durch die Digitalisierung von Daten und Diensten die nationalen Grenzen fallen, in denen sich Gesundheitssysteme heute bewegen.

Neue Konkurrenten

Neben der Digitalisierung der Wertschöpfungskette stellt die Konkurrenz von neuen Marktteilnehmern aus dem In- und Ausland also die größte Herausforderung für etablierte Anbieter im Gesundheitsbereich wie die Diakonie und andere dar. Unterstützt durch die neuen Technologien erhalten branchenfremde Akteure heute Zugang zu Fachwissen, das bis dato nur die Branche selbst hatte. So werden neben Start-ups auch große Technologiekonzerne wie IBM oder Google zu Mitbewerbern. Darauf sollten sich Firmen im Gesundheitswesen schnell vorbereiten, warnt Kaltenbach.

Digitalisierung nutzen, um Freiräume zu erhalten

Das alles muss natürlich für die Gesellschaft bezahlbar bleiben – Fragen zur Finanzierung des Gesundheitssystems werden sich in Zukunft immer drängender stellen. Kann man die Krankenversicherung von den Löhnen entkoppeln? Wird künftig mehr Eigenverantwortung der Patienten verlangt werden, weil es die – digitalen – Möglichkeiten dazu gibt? Können künftig auch Roboter und moderne Sensoren in Wohnräumen bei der Pflege der Eltern helfen? Überall lauern Chancen – und Risiken, natürlich auch für die diakonischen Träger und Einrichtungen. Was aber niemals digital werden kann, ist das menschliche Miteinander, der sensible und intelligente Umgang mit Menschen, Kunden – Patienten.

Dafür die Freiräume zu erhalten, kann eine echte Chance der Digitalisierung sein, wenn man in derselben sein Geschäftsmodell zu behaupten weiß. Sonst geht man als etablierter Anbieter den Weg von Nokia, Kodak oder Agfa und stirbt den Tod von Telefonzelle, Wählscheibe, Telefonkarte oder Videokassette. Das Schlimme ist – und daran müssen alle Unternehmen denken, die es heute noch gibt – im Alltag vermisst man diese alten Dinge und Namen alle nicht mehr.

Dieser Text ist als Beitrag für das soeben erschienene Magazin „Diakonie unternehmen“ des Verbandes der diakonischen Dienstgeber in Deutschland VdDD entstanden.

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