Industrie lässt digitale Chancen ungenutzt

Trotz enormer Einsparpotenziale und klarer Wettbewerbsvorteile beschäftigt sich die Industrie nur bedingt mit der digitalen Optimierung ihrer Geschäftsprozesse. Aktuell hat das Thema nur bei etwa der Hälfte der befragten Industriemanager eine hohe oder sehr hohe Priorität. Zu diesem Ergebnis kommt die Studie „How Industrial Machinery Makers Are Capturing the Digital Opportunity“ der internationalen Managementberatung Bain & Company.

Dabei verändern digitale Technologien kaum eine Branche so sehr wie den Maschinenbau. Ersatzteile werden mehr und mehr on demand hergestellt, Wartung und Upgrade sind punktgenau am Bedarf und an den festgelegten Terminen ausgerichtet. Und das alles bei einer immer höheren Kundenerwartung hinsichtlich Service und Performance. „Unternehmen, die jetzt auf die Digitalisierung ihrer Prozesse setzen, schaffen sich Spielraum für innovative Entwicklungen, neue Geschäftsfelder und enorme Einsparungen“, betont Dr. Klaus Neuhaus, Bain-Partner und Autor der Studie. „Und nur diejenigen, die passgenau produzieren, Maschinen laufend optimieren und Kunden Echtzeitservices bieten können, haben künftig die Nase vorn.“

Marktführer verlassen die unternehmerische Komfortzone




Schon heute können beispielsweise Saat- und Erntemaschinen während ihres Einsatzes Daten sammeln und tragen damit entscheidend dazu bei, Erträge zu maximieren. Big Data, Smart Factory, 3D-Druck oder Cloud-Dienste: Diese und viele andere digitale Möglichkeiten stehen Maschinenbauunternehmen heute bereits offen. Doch die Mehrheit der Entscheider ist noch zu sehr auf einzelne Produkte und etablierte Geschäftsfelder fokussiert, statt ganzheitlich neu zu denken. „Neu denken heißt, den Fokus von Hardware- stärker auf Softwareengineering zu verlagern und die Mitarbeiter fit zu machen für die Veränderung der Branche“, erklärt Bain-Partner und Studien-Co-Autor Michael Schertler. „Maschinenbauer müssen ihre Potenziale realistisch ausloten und deutlich in Know-how investieren.“

Dies ist zwar ein mehrjähriger Prozess, der Mut, Weitblick und Mittel erfordert, doch er lohnt sich. Digitalisierung im Maschinenbau betrifft alle Stufen der Wertschöpfungskette, sei es durch die Herstellung von benötigten Teilen just in time, sei es durch den Zugriff auf Daten jederzeit und überall oder sei es durch reduzierte Lagerkosten. Das Potenzial für Kostensenkungen und Effizienzsteigerungen liegt bei 15 bis 40 Prozent, abhängig von den Möglichkeiten in den einzelnen Wertschöpfungsstufen.

„Es wird Jahre dauern, bis alle Maschinen und Teile digitalisiert sind“, so Industrieexperte Neuhaus. „Doch wollen Unternehmen vorankommen, dürfen sie nicht einfach abwarten. Nur wer mit der neuesten Technologie arbeitet, ist künftig noch interessant für die besten Talente. Auch das ist ein globaler Erfolgsfaktor, der nicht zu unterschätzen ist.“

Agile Teams sind schneller, produktiver und erfolgreicher

Die Deutsche Bank nutzt sie ebenso wie Zalando, der Landmaschinenhersteller John Deere ebenso wie Spotify. Bei General Electric sind sie ein Schlüssel für die Transformation hin zum digitalen Industrieunternehmen. Agile Methoden kommen in immer mehr Unternehmen zum Einsatz. Sie setzen auf die Geschwindigkeit und Produktivität kleiner abteilungsübergreifender Teams, die mit großer Autonomie im engen Austausch mit Kunden Produkt- und Prozessinnovationen vorantreiben. In ihrer aktuellen Studie „Agile Innovation“ erläutert die internationale Managementberatung Bain & Company anhand zahlreicher Beispiele Hintergründe und Konsequenzen dieses Siegeszugs.

Die Wurzeln agiler Methoden liegen in der Softwareentwicklung. „Da Software die Basis für alle digitalen Geschäftsmodelle ist, erfahren agile Methoden immer mehr Akzeptanz – und das rasant“, erklärt Bain-Partner und Innovationsexperte Christopher Schorling. „Hinzu kommt, dass der schnelle technologische Wandel konventionelle Planungsansätze an ihre Grenzen bringt.“ Mittlerweile werden sie längst nicht mehr nur in der IT eingesetzt. Vielmehr erklärten in einer Umfrage der Zertifizierungsorganisation Scrum Alliance über die Hälfte der Befragten, dass auch schon andere Unternehmensbereiche, allen voran die Entwicklung, agile Methoden wie Scrum nutzen. Denn noch erreichen 70 bis 90 Prozent aller neuen Produkte niemals die Marktreife oder scheitern nach ihrer Markteinführung. „Agile Teams sind schneller, produktiver und erfolgreicher“ weiterlesen

Digitale Dienste und Kundennähe entscheiden über Erfolg der Lkw-Hersteller

Lkw-Kunden in Deutschland und Europa wollen hochwertige Fahrzeuge und Dienstleistungen, um ihre Gesamtbetriebskosten zu optimieren und ihre Transportleistung zu maximieren. Sie sind offen für neue digitale Services und auch bereit, diese zu bezahlen, wenn sie die Ökonomie und Effizienz der Fahrzeuge verbessern. Bei Spediteuren geben vor allem leistungsfähige Komplettlösungen über den gesamten Lebenszyklus hinweg den Ausschlag für den Lkw-Kauf – nicht so sehr günstige Fahrzeugneupreise. Diese Einstellung ist umso ausgeprägter, je größer die Unternehmen und Flotten sind. Das sind einige Ergebnisse der in diesem Jahr zum sechsten Mal durchgeführten Studie „What Matters Most in Europe’s Truck Market“ der internationalen Managementberatung Bain & Company. Befragt wurden darin mehr als 600 Flottenbetreiber von Nutzfahrzeugen über 6 Tonnen in den zehn größten europäischen Märkten zu ihren Kaufkriterien, ihrer Markenloyalität und ihrer Sicht auf digitale Dienste.

Wahrgenommener Wert bestimmt die Kaufentscheidung

Für Lkw-Kunden lautet die wichtigste Frage, wie viel Leistung und Service sie für ihr Geld bekommen – und das über die gesamte Betriebsdauer des Fahrzeugs hinweg. Beim Kauf eines schweren Lkws spielen deshalb die Gesamtbetriebskosten des kompletten Lebenszyklus, sprich: die Total Cost of Ownership, die zentrale Rolle. Sie bestimmen die Kaufentscheidung zu einem Drittel. Die reinen Anschaffungskosten folgen mit 22 Prozent auf Rang zwei. Mit steigender Flottengröße wächst die Bedeutung der Gesamtbetriebskosten, während der Fahrzeugneupreis als Entscheidungskriterium an Relevanz verliert. Die Beziehung zum Händler landet mit 18 Prozent erstmals auf Rang drei der wichtigsten Kaufkriterien. Rang vier belegen mit 17 Prozent die Leistungsmerkmale des Lkws. „Digitale Dienste und Kundennähe entscheiden über Erfolg der Lkw-Hersteller“ weiterlesen

Wie der Blick über den Atlantik deutschen Unternehmen hilft

Unbegrenzte Möglichkeiten: Treffender lässt sich die Partnerschaft zwischen der weltgrößten Volkswirtschaft USA und der weltgrößten Industriemesse in Hannover nicht beschreiben. „Während in der vergangenen Dekade alle gen Osten auf die asiatischen Märkte schauten – vor allem nach China –, ist es nun Zeit für einen Perspektivenwechsel“, erklärt Dr. Armin Schmiedeberg, Partner und Industrieexperte bei Bain & Company. „Auf der anderen Seite des Atlantiks befindet sich ein verlässlicher Partner mit einem sehr großen und stabil wachsenden Markt.“ Die internationale Managementberatung Bain & Company hat vier Schlüsselfaktoren definiert, die deutschen Unternehmen helfen, noch stärker vom Wachstum in Nordamerika zu profitieren.

USA wichtigster Handelspartner

Die Vereinigten Staaten sind gerade zu Deutschlands wichtigstem Handelspartner aufgestiegen. Mit einem Gesamt-Außenhandelsumsatz (Exporte und Importe) von mehr als 173 Milliarden Euro standen die USA 2015 zum ersten Mal seit 1960 an der Spitze und verwiesen Frankreich auf den zweiten Platz – vor den Niederlanden und China. Die Franzosen haben diese Statistik seit 1961 angeführt. Einzige Ausnahme war das Jahr 1974. Da hatten die Niederlande die Poleposition.

Der Blick über den Atlantik lohnt sich für die deutsche Exportwirtschaft ganz besonders. Deutschland lieferte im vergangenen Jahr Waren im Wert von rund 114 Milliarden Euro in die USA. Damit war das deutsche Exportvolumen fast doppelt so hoch wie die Importe aus den Vereinigten Staaten (gut 59 Milliarden Euro) – mit einem klar positiven Außenhandelssaldo von rund 55 Milliarden Euro. „Wie der Blick über den Atlantik deutschen Unternehmen hilft“ weiterlesen

Bain über den Vertrieb im Internetzeitalter – aus B2B wird B2C

Die Käufer regieren die Welt – und das traditionelle Verkaufs- und Marketingmodell hat oftmals ein eingebautes Verfallsdatum. Zu diesem Schluss kommt die aktuelle Studie „Bought not sold: Marketing and selling to digitally empowered business customers“ der internationalen Managementberatung Bain & Company. B2B-Unternehmen, die weiterhin erfolgreich sein wollen, müssen ihr Marketing- und Vertriebsmodell anpassen. „Die führenden B2B-Anbieter verhalten sich zunehmend wie die besten B2C-Firmen“, erklärt Tobias Umbeck, Partner bei Bain & Company und Experte für Marketingstrategien. „Sie nutzen Big Data zur präzisen Analyse ihrer Kunden, erreichen diese zu einem sehr frühen Zeitpunkt im Kaufprozess und unterstützen sie mit wichtigen Informationen in den richtigen digitalen Kanälen. Am Ende machen sie dann das Geschäft.“

Viele Unternehmen sind dazu allerdings noch nicht in der Lage. Nach einer weltweiten Bain-Befragung von Marketing- und Sales-Managern fühlen sich lediglich zwölf Prozent gut auf die neuen Realitäten vorbereitet. Zu rechnen ist mit folgenden Entwicklungen: Die bisher getrennten Ressorts Marketing und Vertrieb verschmelzen, die Gesamtzahl der Vertriebsmitarbeiter im Unternehmen sinkt und die bisher oft grobe Kundensegmentierung wird durch eine datengestützte Analyse auf Einzelkundenbasis ersetzt.

Die Erfolgsrezepte der Marketingvorreiter

Immerhin sieht sich fast jedes fünfte Unternehmen laut Bain-Studie bereits heute gut gerüstet für das neue Kräfteverhältnis zwischen B2B-Verkäufern und -Käufern. Diese Vorreiter untermauern ihren messbaren Markterfolg mithilfe von drei Strategien:

1. Informationen, die der Kunde wirklich will. Für Unternehmen ist es schwieriger denn je, eine Marke positiv im Bewusstsein der Geschäftspartner zu verankern. Die Käufer bilden sich ihre eigene Meinung – durch Testberichte, Produktbewertungen von Nutzern und Kommentare in den sozialen Medien. Umso wichtiger ist es, rechtzeitig Einfluss auf die Entscheidungsfindung des B2B-Kunden zu nehmen. Die Vorreiter der Bain-Studie setzen daher intensiv auf Content-Marketing. Sie bieten dem Kunden in allen Informationskanälen nützliche und spannende Inhalte, die dieser wirklich will oder von sich aus anfordert. Ein gutes Beispiel ist die in Dänemark ansässige weltgrößte Container-Reederei Maersk. Der Konzern nutzt die sozialen Netzwerke äußerst professionell: Blogs der Kapitäne, kleine Porträts außergewöhnlicher Mitarbeiter, dramatische Fotos von Schifffahrten durchs Packeis. Mit diesen Content-Marketing-Maßnahmen erreicht Maersk auf Facebook, Twitter und Instagram ein Millionenpublikum – zu einem Bruchteil der Kosten des herkömmlichen Werbemarketings.




2. Relevante Kundendaten sammeln und intelligent auswerten. Viele Unternehmen sitzen auf einem wahren Schatz von Informationen über ihre B2B-Kunden, wissen ihn jedoch nicht zu nutzen. Es fehlt im ersten Schritt die systematische Analytik: Welche Produkte hat der Kunde in der Vergangenheit gekauft? Was bevorzugten ähnliche Käufer? Was recherchieren potenzielle Kunden gerade in Echtzeit auf der Website des Unternehmens? Wer über diese Informationen und die entsprechende Analytik („Big Data“) verfügt, erkennt die wahren Bedürfnisse seiner Kunden und kann sie in einem zweiten Schritt gezielt über neue Produkte oder Kampagnen informieren. Der Anbieter differenziert auf diese Weise nicht mehr grob nach Käufergruppen, sondern umsorgt jeden einzelnen Kunden, indem er seinen speziellen Bedürfnissen entspricht („Segment of One“).

3. Dynamischer Kaufprozess und ein überzeugendes Einkaufserlebnis. Geschäftskunden verlangen ebenso wie Endverbraucher den schnellen und effektiven Kontakt zum Produktanbieter. Unternehmen, denen es gelingt, diese Anforderung zu erfüllen, erzielen qualitativ höherwertige Kundenkontakte und bessere Abschlussraten. Ein in der Bain-Studie genannter Softwarekonzern hat seine komplette Vertriebsstruktur umgestellt – weg vom „One size fits all“-Konzept hin zu einem dem jeweiligen Kundensegment angepassten Modell. Für Hunderte von Großkunden heißt das: Sie haben hoch spezialisierte Ansprechpartner auf allen Hierarchieebenen des Anbieters und eine Vertriebsabteilung, deren Vergütung sich nach der Dauer der Kundenbeziehung richtet. Kleine und mittelgroße Kunden erhalten ein flexibles Testkaufmodell („see, try, buy“) und können Software für einen gewissen Zeitraum kostenlos nutzen. Entschließen sie sich zum Kauf, werden sie nicht nur von IT-Experten des Unternehmens unterstützt, sondern auch von den Verkaufsmanagern hinsichtlich sinnvoller weiterer Produkte beraten.

Worauf sich das Management jetzt einstellen muss

Das veränderte Kundenverhalten in der digitalen Ära ist für die Verantwortlichen in Vertrieb und Marketing eine nicht zu unterschätzende Herausforderung. Agieren die Marketing- und Verkaufsteams bereits als Einheit? Ist die eigene digitale Strategie schon so weit entwickelt, dass die Zielkunden auf allen Kanälen erreicht werden? Sind die gesammelten Kundendaten aussagekräftig genug, um das Verhalten potenzieller Käufer zu prognostizieren und ihnen während des Kaufprozesses eine rundum positive Erfahrung zu ermöglichen? Bain-Experte Umbeck: „Unternehmen, die der Konkurrenz voraus sind, können von den Veränderungen des neuen digitalen Kaufverhaltens nachhaltig profitieren und sind nachweislich erfolgreicher.“

Manager suchen Werkzeuge zur Beherrschung wachsender Komplexität

Auf der ganzen Welt ist mehr als die Hälfte der befragten Top-Manager auf der Suche nach neuen Werkzeugen, um drängende Herausforderungen wie wachsende Komplexität, Internetkriminalität und sinkende Kundenloyalität in den Griff zu bekommen. Zufrieden zeigen sich die Führungskräfte vor allem mit dem Einsatz von Managementtools mit großem Wirkungskreis, zum Beispiel mit umfassenden Transformationsprojekten. Von Methoden mit geringerer Schlagkraft sind sie deutlich weniger überzeugt. Insgesamt jedoch variiert der Einsatz von Managementtechniken je nach Region, Unternehmensgröße und konkreter Geschäftslage.

Im Rahmen der weltweiten Studie „Management Tools & Trends“ der internationalen Managementberatung Bain & Company wurden in Europa Führungskräfte in Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Spanien befragt. Hier hat die Zahl der eingesetzten Managementmethoden leicht abgenommen – von 6,8 im Jahr 2012 auf heute 6,6. Die wenigsten Tools nutzen dabei die Franzosen mit 5,1. Mit 6 liegen die Deutschen nur knapp dahinter. Generell wenden größere Unternehmen mehr Techniken an als kleinere, allerdings nimmt die Zahl der genutzten Managementwerkzeuge in mittelgroßen Unternehmen zu. Methoden wie disruptive Innovationslabore, Kundensegmentierung, strategische Planung und Mitarbeiterbefragung erzielen bei europäischen Managern die höchsten Zufriedenheitswerte.

Outsourcing hat selten den gewünschten Erfolg

Ernüchterung hingegen hat sich in Bezug auf Outsourcing eingestellt. „Die wichtigsten Ziele beim Outsourcing sind traditionell Effizienzsteigerung, Komplexitätsreduktion durch die Konzentration auf das Kerngeschäft und Verbesserung der Servicequalität“, erläutert Walter Sinn, Deutschlandchef von Bain & Company. „Unternehmen starten mit viel Optimismus in solche Projekte und sind mit der Zeit enttäuscht. Denn es ist nicht einfach, die richtigen Service-Level-Vereinbarungen zu definieren und die sich im Zeitverlauf verändernden Anforderungen anzupassen.“ „Manager suchen Werkzeuge zur Beherrschung wachsender Komplexität“ weiterlesen

Bain: Digitalisierung wird auch für Banken zum kritischen Erfolgsfaktor

Immer mehr Kunden erledigen ihre Bankgeschäfte online oder mobil. Während die Bedeutung digitaler Kommunikation weltweit rasant wächst und eine Vielzahl entsprechender Start-ups in den Markt drängt, können viele Banken mit dieser Entwicklung noch nicht Schritt halten. In der aktuellen Studie „Auf dem Weg zur Retail-Bank der Zukunft“ zeigt die internationale Managementberatung Bain & Company die Folgen des veränderten Kundenverhaltens auf. Darüber hinaus wird dargelegt, wie es führenden Banken gelingt, ihre analogen und digitalen Angebote miteinander zu verknüpfen. Um langfristig zu bestehen, müssen Banken ihr Geschäftsmodell grundlegend reformieren – und dies schnell.

Das Privatkundengeschäft der Banken ist im digitalen Zeitalter angekommen. Im Jahr 2013 erfolgte weltweit mehr als die Hälfte aller Interaktionen mit Banken online oder mobil. In etablierten Märkten wie Skandinavien, den USA oder Deutschland liegt dieser Anteil bereits bei über 60 Prozent. Und das ist erst der Anfang: Werden die Interaktionen an den Selbstbedienungsgeräten mit Internetfunktionalität in den Bankfilialen hinzugerechnet, steigt der Nutzungsanteil der digitalen Kanäle in den kommenden Jahren auf bis zu 95 Prozent.

Entsprechend wächst auch die wirtschaftliche Bedeutung der digitalen Kanäle für die Finanzinstitute. „Wenn eine Bank ihre Kunden langfristig binden will, muss sie sich eher heute als morgen auf das veränderte Nutzerverhalten einstellen, und das ist auch digital“, betont Dr. Dirk Vater, Autor der globalen Studie und Leiter der Banken-Praxisgruppe von Bain & Company im deutschsprachigen Raum. „Nur begeisterte Kunden sind loyale Kunden. Sie bleiben ihrer Bank länger treu, kaufen mehr Produkte, verursachen geringere Betreuungskosten und empfehlen sie häufiger weiter.“

Digitale Angreifer auf dem Vormarsch

Bankgeschäfte für den Kunden durch innovative, nützliche und einfache digitale Anwendungen bequemer und ansprechender zu gestalten, spielte bei den meisten Banken bislang kaum eine Rolle. Dies kann jetzt angesichts der dynamischen Entwicklung in der Branche existenzbedrohend sein. Weltweit setzen bereits mehr als 3.000 Finanzdienstleister und Start-ups mit rein digitalen Geschäftsmodellen, die alternative Produkte und eine individuellere Kundenansprache bieten, die Margen der Banken unter Druck.

Traditionelle Markteintrittshürden wie persönliche Beziehungen zwischen Kunden und Bankern oder Fixkostendegression verlieren an Bedeutung. Schon seit geraumer Zeit geht ein bedeutender Anteil der Neugeschäftsabschlüsse bei Tagesgeld, Kreditkarten oder Baufinanzierung an attraktivere Wettbewerber verloren. Vor allem junge Neukunden achten bei der Wahl ihrer Hausbank zunehmend auf deren digitale Möglichkeiten.

Die „DigicalSM Transformation“ hat gerade erst begonnen

Nach eigenem Bekunden fehlen den meisten Finanzinstituten noch die organisatorischen Strukturen, Prozesse und Fähigkeiten für Innovationen. Immerhin stufen neun von zehn Befragten es als „extrem wichtig“ ein, ein nahtloses Omnikanalangebot zu schaffen. Dies ergibt die aktuelle Bain-Untersuchung von 75 Retail-Banken in aller Welt. Aber nur 60 Prozent erklären, dass sie einen klaren Plan mit Budgets für eine solche Umstellung haben und die notwendigen Mittel bereitstehen.

Um ein herausragendes Kundenerlebnis bieten zu können, müssen digitale und physische (physical) Kanäle konsequenter zusammenwachsen. Diese Entwicklung bezeichnet Bain als „DigicalSM Transformation“. Dafür sind fünf Handlungsfelder entscheidend:

1. Schaffung eines einzigartigen, digital gestützten Kundenerlebnisses
2. Schrittweise Entwicklung eines Vertriebs- und Servicemodells mit Omnikanalfähigkeit
3. Integration moderner Technologien in den Kern der Geschäftsstrategie
4. Finanzierung der Transformation durch Abbau von Altlasten und Repriorisierung
5. Dauerhafte und schnelle Organisation von Innovationen und Veränderungen

„Noch können die traditionellen Banken wieder die Oberhand gewinnen und die lukrativen Teile ihrer Wertschöpfung verteidigen“, so Vater. „Tatsache aber ist, dass das heutige Filialnetz und die davon getrennten digitalen Angebote in dieser Form die Bedürfnisse der Kunden nicht mehr erfüllen. Deshalb müssen Banken technologische Neuerungen künftig verstärkt dazu nutzen, ihre Kunden mit überzeugenden Angeboten zu begeistern, anstatt mit ihnen nur Kosten reduzieren zu wollen.“

Filialnetz steht vor grundlegendem Umbau

Im digitalen Zeitalter wird sich insbesondere die Rolle des Filialnetzes ändern. Die durch Filialmitarbeiter abgewickelten Transaktionen gehen jährlich um 10 bis 15 Prozent zurück. Drei Viertel der an der Studie beteiligten Banken wollen daher ihr Filialnetz umbauen. Als besonders zukunftsfähig gilt das „Hub & Spoke“-Modell. Kunden können sich in den „Flagship“-Filialen (Hub) zu komplexen Produkten beraten lassen. Daran schließen sich „Satelliten“-Filialen (Spoke) an, die unter anderem über Selbstbedienungsgeräte mit Videotechnologie verfügen und mit den größeren Flagship-Filialen verbunden sind.

„Künftig dient die Filiale vor allem der Beratung und verknüpft auf intelligente Weise das traditionelle mit dem digitalen Kundenerlebnis“, erklärt Bankenexperte Vater. Bis zu drei Viertel der befragten Banken planen daher in den kommenden Jahren mehr Kundenberater einzusetzen. Bis zu 60 Prozent wiederum wollen ihre Filialen mit Tablets, SB-Geräten mit Videotechnologie und weiterem modernen Equipment ausstatten. Im Gegenzug soll Servicepersonal abgebaut werden. Auch die Automatisierung von Prozessen, ein optimierter Vertrieb sowie eine Vereinfachung der Produkte sollen Kosten senken.

Bain-Studie zur Digitalisierung von Unternehmen: Die Zukunft ist „digical“

Die Zukunft der Wirtschaft ist nicht digital, sondern „digical“. Digitale und physische (physical) Geschäftsmodelle wachsen zusammen und zwingen Unternehmen in nahezu allen Branchen in den nächsten zehn Jahren zu weitreichenden Veränderungen. Die Studie „Leading a Digical Transformation“ der internationalen Managementberatung Bain & Company erläutert anhand zahlreicher Beispiele von Pionieren der „Digicalisierung“ die Chancen und Marktpotenziale einer vernetzten Online- und Offlinewelt.

In immer mehr Branchen drohen digitale Geschäftsmodelle ihre analogen Vorgänger vom Markt zu drängen. Bain hat die Entwicklung von rund 300 Unternehmen aus verschiedenen Branchen analysiert und zahlreiche Interviews mit Führungskräften geführt – und kommt zu einem anderen Ergebnis: Erfolgreiche Unternehmen nutzen digitale Ansätze, um ihre physischen Geschäftsmodelle weiterzuentwickeln, und schaffen so eine gute Basis für ein anhaltend profitables Wachstum in den kommenden Jahren. „Wir stehen erst am Anfang“, sagt Bain-Deutschlandchef Walter Sinn. „Noch hat die Digitalisierung nur wenige Branchen wie die Medien oder die Telekommunikation mit voller Wucht erfasst. Aber in zehn Jahren wird die Welt ganz anders aussehen.“ Ob Automobil- oder Pharmaindustrie, ob Finanzdienstleister oder Maschinenbau – überall zwingen neue Technologien und ein verändertes Kundenverhalten Unternehmen zum Handeln.

Kein Grund zur Resignation

Ein Trend befeuert die Digical-Transformation unaufhaltsam: das „Internet der Dinge“ – und damit die Möglichkeit, alle Arten von Geräten miteinander zu vernetzen, von der Kraftwerksturbine bis hin zum Kühlschrank. Dank neuer digitaler Technologien lassen sich solche Produkte effizienter bedienen, kontrollieren und warten. Durch die Integration dieser Technologien können Hersteller ihr analoges Angebot verbessern und den Kundennutzen steigern. Angesichts der Vorteile für den Kunden und seine Bedürfnisse werden sich umgekehrt aber auch viele, bislang rein digitale Geschäftsmodelle für die analoge Welt öffnen. Erste E-Commerce-Anbieter gehen bereits diesen Weg und präsentieren ihr Sortiment in stationären Einkaufsstätten. Resignation ist daher unangebracht: „Viele etablierte Industrieunternehmen und Dienstleister haben derzeit das Gefühl, im Zuge des rasanten technologischen Wandels ins Hintertreffen zu geraten“, sagt Sinn. „Sie übersehen dabei die Stärken und das Potenzial ihres Kerngeschäfts. Dieses allerdings müssen sie konsequent weiterentwickeln und gleichzeitig die neuen technischen Möglichkeiten integrieren.“

Umbruch bedeutet viel Arbeit

Die aktuelle Bain-Studie erläutert, wie es Unternehmen gelingt, Digical-Geschäftsstrategien zu entwickeln. Am Anfang steht die Diagnose der eigenen Branche und die Beantwortung der Frage, wie schnell und wie stark es hier zu Veränderungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette kommen wird. Selbst in bereits weitgehend digitalisierten Branchen wie der Musikindustrie sind wichtige Teile dieser Kette, beispielsweise das Konzert- und Lizenzgeschäft, weitgehend unverändert geblieben. Der Umbruch hat hier vor allem den Verkauf von Musiktiteln an Endkunden betroffen. Wer die besonders gefährdeten Teile seiner Wertschöpfungskette identifiziert hat, kann eine passende Strategie erarbeiten.

Für die meisten Unternehmen gibt es noch viel zu tun. So hat die Bain-Analyse der rund 300 Unternehmen ergeben, dass sich diese zwar durchgängig der bevorstehenden Umwälzungen bewusst sind, fast 80 Prozent aber bei der Anpassung ihres Geschäftsmodells noch am Anfang stehen. Typischerweise durchlaufen Unternehmen danach drei Phasen – vom Anfänger bis hin zum Experten – und schaffen es Schritt für Schritt, vom Getriebenen zum Treiber der „Digicalisierung“ zu werden.

Gehandelt werden muss jetzt

Eine besondere Herausforderung auf diesem Weg ist die Festlegung der Veränderungsgeschwindigkeit. „Die Unternehmen wollen natürlich rasche Fortschritte erzielen“, erklärt Sinn. „Doch am Ende entscheidet der Kunde über den richtigen Zeitpunkt für den Einsatz neuer Technologien.“ Teilweise ist es sinnvoll, Innovationen vorsichtig am Markt einzuführen. So praktiziert es die Automobilindustrie. Innovationsführer wie Audi und Mercedes-Benz haben Technologien rund um das fahrerlose Auto bereits weit vorangetrieben, doch das Gros der Kunden vertraut (noch) mehr auf die eigenen Fahrkünste.

Die Integration digitaler Technologien in ein physisches Produkt wie ein Auto verdeutlicht, was der Begriff „digical“ im Kern bedeutet: die Verschmelzung zweier Welten. Noch stellt sich nur eine Minderheit der Unternehmen konsequent diesem Paradigmenwechsel. Bain-Deutschlandchef Sinn mahnt indes zur Eile. „Die Zukunft ist ohne Frage digical. Wenn Unternehmen das realisieren und ihr Geschäftsmodell weiterentwickeln, müssen sie den Wettbewerb der Zukunft nicht scheuen. Jetzt aber gilt es zu handeln und eine umfassende Transformation anzugehen.“