Die Revolution ruft ihre Kinder

Neue Bildungswege in Zeiten der digitalen Transformation

Internet der Dinge, Industrie 4.0, digitale Transformation: Viele Schlagworte beschreiben, was die Arbeitswelt in den nächsten Jahren erheblich verändern soll. Allenthalben wird gar von einer weiteren industriellen Revolution gesprochen, wie sie in der Vergangenheit schon von Dampfmaschinen, Fliessbändern und elektronischen Schaltungen ausgelöst wurde. Was sollen junge Menschen in Schule, Ausbildung oder Studium tun, um sich auf eine Arbeitswelt vorzubereiten, in der Künstliche Intelligenz (KI) und autonome Robotersysteme viele Prozesse nicht nur in der Produktion, sondern auch in Dienstleistung und Verwaltung umkrempeln werden?

Die Bildungseinrichtungen sind gefragt. Die Tochter des Autors hatte in der achten Klasse eines Gymnasiums das Fach Informatik auf dem Stundenplan. Auf dem Papier eine gute Sache. In der Praxis bestand der Unterricht jedoch aus schlichten Übungen mit den gängigen Office Programmen. Texte erfassen, Präsentationen gestalten, einfache Tabellen aufbauen. Immerhin gibt es Informatik noch als nicht versetzungsrelevantes Wahlfach „für Computerfreaks“, wie der Schulprospekt erläutert. Zur Ehrenrettung der Schule muss gesagt werden, dass es sich um eine sprachlich musisch geprägte Einrichtung handelt. Die Frage ist nur, werden Sprachkenntnisse in Zukunft noch so wichtig sein wie heute? KI unterstützte Übersetzungssysteme werden immer besser und könnten schon recht bald eine Unterhaltung in Echtzeit dolmetschen.

Vishal Sikka, ehemaliger Technologiechef von SAP und heutiger CEO des indischen Konzerns Infosys Ltd, sagte am World Economic Forum 2016 in Davos: “Shift the focus from learning what we already know to an education focused on exploring what hasn’t happened yet.” Unsere Schulen haben ihren Fokus meist noch nicht wirklich neu ausgerichtet, aber an den Universitäten und in den Betrieben gibt es zukunftsweisende Beispiele für Ausbildungswege, die auf die Herausforderungen von morgen vorbereiten.

Was muss ein Ingenieur können, der ein autonomes Robotersystem, das Bilder, Gesten und Sprache interpretieren muss, entwickelt und einsetzen will? Er oder sie braucht Kenntnisse vom Maschinenbau über die Elektrotechnik, Elektronik, Künstliche Intelligenz, Kognitionswissenschaften bis hin zur Neurowissenschaft. Die Technische Universität München (TUM) mit ihren Fakultäten für Informatik, Elektrotechnik/ Informationstechnik und Maschinenwesen hat sich dem umfassenden Gebiet genähert und einen gemeinsamen Masterstudiengang „Robotics, Cognition, Intelligence (RCI)“ aufgelegt, der einen interdisziplinären Ausbildungsweg eröffnet.

Der nicht konsekutive Studiengang, der mit einem Master of Science abschliesst, zeigt, wie die Vorbereitung auf die Zukunft in einer digital transformierten Arbeitswelt aussehen könnte. Wer sich bewirbt, muss eine universitäre Basisausbildung mit Bachelorabschluss in Informatik, Mathematik, Physik, Elektrotechnik, Maschinenwesen, Ingenieurwissenschaften (Engineering Science) oder vergleichbaren Studiengängen mitbringen. Bei fehlenden Kompetenzen entscheidet ein Eignungsverfahren. Die Annahmequote liegt bei durchschnittlich 50%. Ausländische Bewerber brauchen ein deutsches Sprachzertifikat. Der Studiengang ist im Jahr 2012 mit 38 Bewerbern gestartet, für das Wintersemester 2016 waren es mehr als 140.

Die Studieninhalte sind dem Konzept der Interdisziplinarität entsprechend sehr vielfältig. Neben der klassischen Robotersteuerung vertiefen die Studenten die Gebiete Wahrnehmung, Bildverarbeitung und künstliche Intelligenz. Verfahren zur Signalverarbeitung, Sensordatenauswertung und Programmierung stehen ebenso im Curriculum wie Konzepte der Verhaltenssteuerung, des maschinellen Lernens und der Mensch-Roboter-Interaktion. In der Masterarbeit wird ein voll funktionierendes System entwickelt, das Robotik, Cognition und Intelligence umfasst und voll einsatzfähig sein muss.

Die Industrie interessiert sich für den Weg der TUM und für die Absolventen, die offenbar alle gut in einen Beruf als – wie soll man sagen – interdisziplinäre Roboterexperten gestartet sind. „Mit dem Angebot eines dualen Masterstudiums im Informatikbereich und einem abwechslungsreichen Mix aus Lehrveranstaltungen und praktischen Erfahrungen reagieren wir auf neue Bedürfnisse und Herausforderungen“, schreibt beispielsweise Audi auf seiner Website, und wirbt damit für „Audi dual – Master“. Die Praxiseinsätze absolvieren die Studenten in verschiedenen Bereichen des Unternehmens, das Studium entweder im Studiengang RCI der Technischen Universität München oder an der Technischen Hochschule Ingolstadt. Der Abschluss ist wiederum der Master of Science.

Neue Wege tun sich auf. Nicht nur im Ingenieurwesen. Auch in der Medizin zum Beispiel: Roboter analysieren Blut- und Gewebeproben, KIs unterstützen bildgebende Verfahren, intelligente Mikrochips suchen direkt im Körper nach Krankheitsursachen oder verabreichen je nach Bedarf Medikamente. Alle diese Systeme verlangen nach vernetztem Wissen aus Medizin, Biologie, Mikroelektronik und Informatik. Da gibt es viel Raum für neue Ausbildungswege und neue Berufe. Die Revolution ruft ihre Kinder.

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