Smart Factory über Ländergrenzen hinweg: Zeit, Raum, Sprache sind keine Hürden

Global braucht digital: International fertigende Unternehmen können ihre Produktivität mit modernster Smart-Factory-Technologie um 20 Prozent und mehr steigern. Dazu wird eine neue IT-Generation benötigt, die eine zentrale Steuerung der Fabriken über Ländergrenzen hinweg ermöglicht – in Echtzeit, in allen Sprachen, unabhängig von Zeitzonen, für alle stationären und mobilen Endgeräte. Für Maschinenhersteller stehen die Zeichen auf Standardisierung ihrer Software.

Von Bernd Michel

Industrie 4.0 nimmt Fahrt auf. Immer mehr Unternehmen stellen ihre Anlagen auf vernetzte, digitale digitale Steuerung um. Die Fabrikhalle wird zur Smart Factory: Menschen analysieren und steuern die Anlagen webbasiert in Echtzeit mit Touchscreen, Tablet und Smartphone. Komponenten, Maschinen und Produkte kommunizieren via eingebetteter IT-Systeme miteinander. Teile melden automatisiert an Anlagen, ob sie richtig oder falsch montiert sind, Maschinen senden ihre Leistungsdaten an zentrale Leitstände. Alle erforderlichen Größen wie Planvorgaben, Beschaffung, Störungen oder Personalkapazitäten werden für die Nutzer – vom Maschinisten bis zum Manager – auf einheitlichen Oberflächen auf allen Endgeräten in Echtzeit dargestellt, überwacht und gesteuert.

Das ist die schon greifbare Zukunft nicht nur für eine Fabrik, sondern auch für Unternehmen mit weltweit verteilten Standorten. Für ein solches internationales Shop Floor Management ist eine neuartige Technologie-Generation notwendig. Herkömmliche MES-Lösungen (Manufacturing Execution System) sind dazu nicht mehr leistungsstark genug. Benötigt wird eine Lösung, welche alle Anforderungen einer hochkomplexen IT-Architektur erfüllt: durchgängiger Anschluss heterogener Maschinenparks, Big-Data-Verarbeitung in Echtzeit, eine Darstellung in allen Sprachen, unabhängig von Zeitzonen und unterschiedlich tickenden Rechneruhren.

Unser Unternehmen implementiert im Automotive-Bereich aktuell eine durchgängige IT-Architektur für zehn Standorte in fünf Ländern, in vier Sprachen und drei Zeitzonen. Die technologischen Voraussetzungen, welche dafür erfüllt sein müssen, beschreiben fünf Eckpfeiler.

1. Web-Cloud: Verfügbarkeit aller Daten weltweit

Die Technologie arbeitet komplett webbasiert: Alle Anwender und Anlagen kommunizieren weltweit über das Internet, alle Daten und Anwendungen werden auf einem virtuellen Server in der Cloud zentral vorgehalten. Die Nutzer benötigen nur noch browserfähige Endgeräte, die sich mit dem Server verbinden. Der Kunde hat die Wahl zwischen einer ,Private Cloud´ (Plattform in seinem Haus), einer ,Hybrid-Cloud´ (abgegrenzte Plattform im Netz) oder der offenen ‚Public Cloud‘.

Hybrid-Clouds dürften sich in Zukunft durchsetzen, weil Unternehmen dabei auf vorhandene IT-Architekturen zurückgreifen und Kosten sowie Risiken durch eigenen Aufwand minimieren können. Dabei geht es sowohl um reduzierte IT-Kosten durch Plattform-Services als auch um reduzierten Installations-Aufwand durch Nutzung von „Software as a Service“ (SaaS). Das Thema Datensicherheit steht dabei bei internen wie externen Lösungen entlang der individuellen Anforderungen im Fokus.

Neben Sicherheit muss die IT-Lösung größtmögliche Flexibilität bieten. Das fängt beim Erfassen der Signale jeder einzelnen Maschine in den Fabriken an. In den allermeisten Unternehmen gibt es heterogene Maschinenparks. Die IT-Lösung muss also in der Lage sein, die Signale aus Anlagen unterschiedlicher Hersteller (Siemens, Mazak, Fanuc, Allen Bradley etc.) via Sensoren und zertifizierte SAP-Adapter in eine elektronische Einheitssprache zu übersetzen und die Ergebnisse in das weltweit zentrale Shop Floor Management System einzuspeisen. Universelle, zuverlässige und schnell implementierte Maschinenanbindung ist einer der Schlüssel zum Erfolg.

Bei der smarten Produktion über Ländergrenzen hinweg kommt als weitere Anforderung hinzu, auch bei der Verteilung der Software auf unterschiedliche Rechner-Strukturen bezüglich Sicherheit und Performance flexibel zu sein. Technologisch bedeutet dies, sowohl zentrale Server (globaler Server für alle Standorte), dezentrale Server (jeweils separate Server in den Werken) als auch Mischformen, wie z.B. Kontinental-Server, zu unterstützen.

2. In-Memory: Flexibilität und Schnelligkeit sind entscheidend

Die Anforderungen in jedem Unternehmen sind naturgemäß unterschiedlich, jedes benötigt seine individuelle IT-Lösung. Sie muss flexibel konfigurierbar und variabel einsetzbar sein. Gemeinsames Ziel aller Industrie-4.0-Projekte ist dabei, ein cyber-physikalisches System (CPS) zu erschaffen, welches die reale (physische) Produktionswelt in Echtzeit virtuell abbildet. Mit solchen virtuellen Spiegelbildern haben Unternehmen die Möglichkeit, alle Abläufe virtuell zu analysieren und real zu optimieren, wenn Plan und Soll auseinanderlaufen. Daraus resultieren ein verbesserter Einsatz der Betriebsmittel und eine nachhaltig höhere Produktivität.

Für die benötigte Verarbeitungsgeschwindigkeit, um größte Datenvolumina in Echtzeit zu analysieren und zu visualisieren, sorgt in unserem Unternehmen eine Kombination aus hauptspeicherbasierter In-Memory-Technologie und Complex Event Processing (CEP). In-Memory-Technologie verarbeitet dabei die Daten direkt im Hauptspeicher und reduziert Zugriffe auf klassische Datenspeicher auf reine Block-Sicherungsvorgänge. Dies sorgt für Zugriffszeiten, die um 100er-Faktoren höher liegen als traditionelle Ansätze.

Zudem nutzt Forcam die CEP-Technologie aus der Finanzwelt. CEP entkoppelt die Erfassung von unterschiedlichen Datenquellen – klassisch wird z.B. direkt aus einem Maschinensignal auf einen Zustand geschlossen – von der übergeordneten Interpretation und ermöglicht damit komplexe Verknüpfungen (die Maschine bleibt stehen, es ist keine Pause, aber kein Bediener anwesend) und auch nachträgliche Anpassungen und wiederholte Interpretation, also Korrekturen.


3. Unicode: Die IT spricht alle Sprachen

Eine globale Shop Floor Management Lösung ist in der Lage, sämtliche Stamm- und Bewegungsdaten für alle Endgeräte in allen Sprachen (Unicode) darzustellen und zu visualisieren, und zwar umschaltbar ohne Neustart. Dazu werden sämtliche Textelemente im Vorfeld in der Datenbank abgelegt und stehen zur einfachen Übersetzung bereit. Schriftzeichen aller Sprachen werden dabei unterstützt.

4. UTC Timecode: Zeitzonen sind berücksichtigt, Rechneruhren laufen synchron

Auch für den Faktor Zeit gibt es eine universelle Smart-Factory-Lösung, wobei zwei Ebenen zu berücksichtigen sind: Erstens gilt es, die Software so zu programmieren, dass sämtliche Zeitereignisse als UTC-Timecode erfasst und abgelegt werden, also die Vergleichbarkeit von Daten aus weltweit unterschiedlichen Zeitzonen möglich ist. Frühschicht ist Frühschicht – egal ob in Europa, Asien, Amerika oder Australien.

Zweitens geht es darum, die voreingestellten Uhrzeiten in allen Software-Tools – in Teilen, Maschinen, Produkten – zu synchronisieren. Schon eine Zeitdifferenz von einer Sekunde beispielsweise zwischen Mengenmeldung und Auftragsbefehl kann im „Top Floor“ (SAP / ERP) dazu führen, dass Buchungen abgelehnt werden, weil sie vermeintlich in der Zukunft liegen. Zeitstempel von erfassten Daten müssen weltweit auf die Millisekunde synchron sein.

Insgesamt ist der Programmieraufwand für die beschriebenen und andere qualitätsrelevante Merkmale sehr hoch und dürfte in Zukunft weiter steigen. Dies ist die Messlatte insbesondere für kleinere Software-Teams. Individual-Lösungen werden deshalb in Zukunft weiter gegenüber Standard-Lösungen an Boden verlieren. Dies gilt auch für die oft eingebauten „Fahrtenschreiber“ der Maschinenhersteller. Standards bieten bekannte Vorteile wie höhere Qualität durch breitere Nutzerbasis, Preisvorteile durch Kostenumlage, geringere Implementierungszeit und Flexibilität durch Konfigurierbarkeit.

5. Akzeptanz der Belegschaft: Smart Factory ist Chefsache

Erfolgskritisch für jedes Shop Floor Management ist die Akzeptanz in der Belegschaft. Führungskulturell sollte sie frühzeitig in die digitale Transformation der Produktion eingebunden werden und ihr die Vorteile der Smart Factory nachprüfbar belegt werden. Daher muss das Projekt Smart Factory Chefsache ein. Die Vorteile werden am besten durch einen „Piloten“ belegt, ein im Vorfeld definierter kleinerer Test-Bereich, in dem die digitale Steuerung zuerst eingeführt wird.

Produktivitätssteigerungen von 20 Prozent und mehr in einem Jahr – gemessen an der Gesamtanalgeneffektivität (OEE – Overall Equipment Effectiveness) – sind der beste Beweis, dass man gemeinsam die Standort- und Arbeitsplatzsicherheit erhöhen kann.

Das gewährleistet auch eine dauerhaft einzurichtende Regelkommunikation, in der jedem Beteiligten, vom Werker über den Fabrikleiter bis zum Geschäftsführer, zu jedem Zeitpunkt Fehler und Verschwendungen in seinem Aufgabenbereich klar vor Augen geführt und Handlungsmöglichkeiten an die Hand gegeben werden. Zum Einsatz kommen dabei alle digitalen Kommunikationstechnologien (drahtlos/drahtgebunden, lokal/global). Definiert sind alle benötigten Schnittstellen – Mensch-Maschine sowie Maschine-Maschine, vom stationären oder mobilen Computern mit Touchscreen, Sprach- oder Gestensteuerung für den Werker über den Leitstand des Produktionsleiters bis zu Apps für das Smartphone des Geschäftsführers. Ansprechende Oberflächen, Optiken und Darstellungen sowie eine optimale Ergonomie runden die Nutzerfreundlichkeit ab und sind für die Akzeptanz an allen internationalen Standorten ebenfalls erfolgskritisch.

Der Autor ist Geschäftsführer (Chief Business Development Officer) des international tätigen IT- und Beratungshauses Forcam www.forcam.com

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