Bain über den Vertrieb im Internetzeitalter – aus B2B wird B2C

Die Käufer regieren die Welt – und das traditionelle Verkaufs- und Marketingmodell hat oftmals ein eingebautes Verfallsdatum. Zu diesem Schluss kommt die aktuelle Studie „Bought not sold: Marketing and selling to digitally empowered business customers“ der internationalen Managementberatung Bain & Company. B2B-Unternehmen, die weiterhin erfolgreich sein wollen, müssen ihr Marketing- und Vertriebsmodell anpassen. „Die führenden B2B-Anbieter verhalten sich zunehmend wie die besten B2C-Firmen“, erklärt Tobias Umbeck, Partner bei Bain & Company und Experte für Marketingstrategien. „Sie nutzen Big Data zur präzisen Analyse ihrer Kunden, erreichen diese zu einem sehr frühen Zeitpunkt im Kaufprozess und unterstützen sie mit wichtigen Informationen in den richtigen digitalen Kanälen. Am Ende machen sie dann das Geschäft.“

Viele Unternehmen sind dazu allerdings noch nicht in der Lage. Nach einer weltweiten Bain-Befragung von Marketing- und Sales-Managern fühlen sich lediglich zwölf Prozent gut auf die neuen Realitäten vorbereitet. Zu rechnen ist mit folgenden Entwicklungen: Die bisher getrennten Ressorts Marketing und Vertrieb verschmelzen, die Gesamtzahl der Vertriebsmitarbeiter im Unternehmen sinkt und die bisher oft grobe Kundensegmentierung wird durch eine datengestützte Analyse auf Einzelkundenbasis ersetzt.

Die Erfolgsrezepte der Marketingvorreiter

Immerhin sieht sich fast jedes fünfte Unternehmen laut Bain-Studie bereits heute gut gerüstet für das neue Kräfteverhältnis zwischen B2B-Verkäufern und -Käufern. Diese Vorreiter untermauern ihren messbaren Markterfolg mithilfe von drei Strategien:

1. Informationen, die der Kunde wirklich will. Für Unternehmen ist es schwieriger denn je, eine Marke positiv im Bewusstsein der Geschäftspartner zu verankern. Die Käufer bilden sich ihre eigene Meinung – durch Testberichte, Produktbewertungen von Nutzern und Kommentare in den sozialen Medien. Umso wichtiger ist es, rechtzeitig Einfluss auf die Entscheidungsfindung des B2B-Kunden zu nehmen. Die Vorreiter der Bain-Studie setzen daher intensiv auf Content-Marketing. Sie bieten dem Kunden in allen Informationskanälen nützliche und spannende Inhalte, die dieser wirklich will oder von sich aus anfordert. Ein gutes Beispiel ist die in Dänemark ansässige weltgrößte Container-Reederei Maersk. Der Konzern nutzt die sozialen Netzwerke äußerst professionell: Blogs der Kapitäne, kleine Porträts außergewöhnlicher Mitarbeiter, dramatische Fotos von Schifffahrten durchs Packeis. Mit diesen Content-Marketing-Maßnahmen erreicht Maersk auf Facebook, Twitter und Instagram ein Millionenpublikum – zu einem Bruchteil der Kosten des herkömmlichen Werbemarketings.




2. Relevante Kundendaten sammeln und intelligent auswerten. Viele Unternehmen sitzen auf einem wahren Schatz von Informationen über ihre B2B-Kunden, wissen ihn jedoch nicht zu nutzen. Es fehlt im ersten Schritt die systematische Analytik: Welche Produkte hat der Kunde in der Vergangenheit gekauft? Was bevorzugten ähnliche Käufer? Was recherchieren potenzielle Kunden gerade in Echtzeit auf der Website des Unternehmens? Wer über diese Informationen und die entsprechende Analytik („Big Data“) verfügt, erkennt die wahren Bedürfnisse seiner Kunden und kann sie in einem zweiten Schritt gezielt über neue Produkte oder Kampagnen informieren. Der Anbieter differenziert auf diese Weise nicht mehr grob nach Käufergruppen, sondern umsorgt jeden einzelnen Kunden, indem er seinen speziellen Bedürfnissen entspricht („Segment of One“).

3. Dynamischer Kaufprozess und ein überzeugendes Einkaufserlebnis. Geschäftskunden verlangen ebenso wie Endverbraucher den schnellen und effektiven Kontakt zum Produktanbieter. Unternehmen, denen es gelingt, diese Anforderung zu erfüllen, erzielen qualitativ höherwertige Kundenkontakte und bessere Abschlussraten. Ein in der Bain-Studie genannter Softwarekonzern hat seine komplette Vertriebsstruktur umgestellt – weg vom „One size fits all“-Konzept hin zu einem dem jeweiligen Kundensegment angepassten Modell. Für Hunderte von Großkunden heißt das: Sie haben hoch spezialisierte Ansprechpartner auf allen Hierarchieebenen des Anbieters und eine Vertriebsabteilung, deren Vergütung sich nach der Dauer der Kundenbeziehung richtet. Kleine und mittelgroße Kunden erhalten ein flexibles Testkaufmodell („see, try, buy“) und können Software für einen gewissen Zeitraum kostenlos nutzen. Entschließen sie sich zum Kauf, werden sie nicht nur von IT-Experten des Unternehmens unterstützt, sondern auch von den Verkaufsmanagern hinsichtlich sinnvoller weiterer Produkte beraten.

Worauf sich das Management jetzt einstellen muss

Das veränderte Kundenverhalten in der digitalen Ära ist für die Verantwortlichen in Vertrieb und Marketing eine nicht zu unterschätzende Herausforderung. Agieren die Marketing- und Verkaufsteams bereits als Einheit? Ist die eigene digitale Strategie schon so weit entwickelt, dass die Zielkunden auf allen Kanälen erreicht werden? Sind die gesammelten Kundendaten aussagekräftig genug, um das Verhalten potenzieller Käufer zu prognostizieren und ihnen während des Kaufprozesses eine rundum positive Erfahrung zu ermöglichen? Bain-Experte Umbeck: „Unternehmen, die der Konkurrenz voraus sind, können von den Veränderungen des neuen digitalen Kaufverhaltens nachhaltig profitieren und sind nachweislich erfolgreicher.“

Unternehmen unzufrieden mit ihrer Innovationsfähigkeit

Nur eines von zehn Unternehmen ist überzeugt, den richtigen Ansatz für bahnbrechende Innovationen (Breakthrough Innovations) zu verfolgen. Zu diesem Schluss kommt die neue Studie Breakthrough Innovation von Arthur D. Little (ADL). Demnach sind 88 Prozent des Top-Managements unzufrieden mit ihrer Strategie für bahnbrechende bzw. radikale Innovation. Dennoch erwarten die Unternehmen, dass der Umsatzanteil, den radikale Innovationen zum Gesamtumsatz beitragen, sich in den nächsten fünf Jahren verdoppeln wird. Die Studie unter Vertretern führender europäischer Unternehmen identifizierte die lange Umsetzungszeitspanne von drei bis zehn Jahren als eine der wesentlichen Barriere für signifikante Umsatzzuwächse durch radikale Innovationen. Hauptprobleme hier sind die zu kurzfristige Betrachtungsweise und mangelndes Engagement in entsprechenden Projekten.

Unternehmen hingegen, die klar definierte Innovationsziele und dezidierte „Breakthrough Teams“ haben, erreichen 15% Umsatzsteigerung und haben deutlich mehr Vertrauen in ihre entsprechenden Innovationsaktivitäten. „Unternehmen unzufrieden mit ihrer Innovationsfähigkeit“ weiterlesen