Offenheit statt Datensilos: Wie Industrie 4.0 im Mittelstand gelingt

So manche deutsche Fabrik arbeitet noch mit einer Datensilo-Infrastruktur aus dem vergangenen Jahrhundert, statt auf offene und flexible IT-Systeme zu setzen, Bei der Fabrik- oder Industrie 4.0 kommt es auf offene Schnittstellen an – erst sie ermöglichen uneingeschränkten Zugang zu Spitzentechnologie, die die Fertigung zu einer smarten Produktion vernetzt.

Von FRANZ GRUBER, Geschäftsführer der FORCAM GmbH in Ravensburg. Die US-Gesellschaft der Fertigungsingenieure (SME) zählt ihn zu den 30 wichtigsten Smart-Factory-Vordenkern.

Vor 30 Jahren kam das Internet in unsere Welt, vor zehn Jahren das Smartphone, seit sechs Jahren sprechen wir der vernetzten Industrie 4.0 oder dem Industrial Internet. Doch die smarte Produktion hat in Deutschland noch lange nicht flächendeckend Einzug gehalten. Die heute aktuelle Smart Factory ist vielerorts noch immer eine Hard Factory.
Grund: So manche deutsche Fabrik arbeitet noch mit einer IT-Infrastruktur aus dem vergangenen Jahrhundert, welche letztlich Datensilos schafft. Basis einer solcher Betriebsdatenerfassung ist das sogenannte Manufacturing Execution System (MES). Kennzeichen eines MES aber ist eine grundsätzlich monolithische IT-Struktur, die eine Vernetzung mit andere Systeme nicht oder nur mit großem Aufwand zulässt.

Seit den 1990-er Jahren haben sich hunderte von MES-Anbietern in Deutschland etabliert. Das Produktversprechen: Wir sorgen für eine lückenlose Betriebsdatenerfassung in deinen Fabriken. Am Ende kannst Du schneller und effizienter produzieren.

MES – ein deutscher Sonderweg

MES aber ist bis heute ein deutscher Sonderweg geblieben. In der großen weiten Digitalwelt des 21. Jahrhunderts spielt MES keine Rolle, das Internet of Things (IoT) sowie die digital vernetzte Industrie 4.0 interessieren sich nicht für den MES-Ansatz.




Unternehmen sollten den deutschen MES-Sonderweg schnell verlassen. Denn im Zeitalter 4.0 müssen fertigende Unternehmen smart produzieren – oder sie werden hart scheitern. Smart produzieren aber heißt, dass Unternehmen mit offenen IT-Architekturen und offenen Schnittstellen arbeiten, mit denen sie digital vernetzte Systeme schaffen und so intelligente Wertschöpfungsketten ermöglichen. All das bieten die allermeisten MES-Lösungen nicht, auch wenn sich die vielen verschiedenen Produkte auch beim Leistungsumfang stark unterscheiden. Gemeinsam ist den meisten MES-Angeboten, dass sie einen privilegierten Zugriff des jeweiligen MES-Anbieters auf die erfassten Produktionsdaten der Kunden ermöglichen.

Lieber offene Netze als Lock-in-Effekte

Der MES-Kunde hingegen landet bei seiner Maschinen- und Betriebsdatenerfassung mittels MES in einem technisch forcierten Lock-in: Allen Anwendungen, die für ein modernes Shop Floor Management mit Echtzeit-Integration von Daten aus Top und Shop Floor sowie für intelligente Wertschöpfungsketten benötigt werden, wird der Zugriff auf Maschinen-, Betriebs- und Prozessdaten verwehrt. Das Ergebnis: Modernen Technologien und Funktionen auf Basis von Big-Data-Analysen wie einer modernen Feinplanung mit Echtzeitdaten, einer Rückverfolgbarkeit (Tracability) oder einer „vorhersagende“ Wartung (Predictive Maintenance) bleibt im MES ein Zugang verwehrt.

Solche geschlossenen Silo-Systeme zur Betriebsdatenerfassung haben aber in der vernetzten Industrie 4.0 keine Zukunft. Die smarte Produktion gelingt nur mit offenen Systemen. Man werden auch unter dem Begriff MOS – Manufacturing Operating System – zusammengefasst. Merkmal von MOS sind offene Programmierschnittstellen, sogenannte Open API (Application Programming Interface). Auf der Homepage der Open API Initiative finden sich alle namenhaften amerikanischen Softwareunternehmen. https://www.openapis.org/

Es geht um viel: besser gleich umsatteln

Erst solche offenen IT-Architekturen, in den eigene Anwendungen mit Fremd-Anwendungen kommunizieren und uneingeschränkten Datenaustausch haben können, bringen produzierenden Unternehmen den erwünschten Nutzen 4.0: Alle Anwendungen eines IT-Umfeldes werden in Echtzeit mit den erforderlichen Betriebs- und Prozessdaten versorgt, Top und Shop Floor laufen synchron, Liefer- und Wertschöpfungsketten sind getaktet. Und: Kein einzelner Anbieter hat einen privilegierten Zugang auf die erfassten Daten.

Nur offene Systeme ermöglichen modernes Shop Floor Management und schaffen die smarte Produktion. Nur offen Systeme liefern die attraktiven Produktivitätssteigerungen und damit Wettbewerbsvorteile, die die Smart Factory der Industrie 4.0 verspricht.

Besser früher als zu spät sollte der produzierende deutsche Mittelstand auf eine offene IT-Architektur umsatteln. Es geht um viel: kurzfristig um höhere Produktivität und Ressourceneffizienz, mittelfristig aber um die Sicherheit von Standorten und Arbeitsplätzen.

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