Big Data zwischen Hype und Realität

Sechs von zehn deutschen Unternehmen bewerten die Fähigkeit, aus heterogenen Massendaten neues, geschäftlich nützliches Wissen zu extrahieren, als einen zentralen Erfolgsfaktor in der digitalen Revolution. Weithin unklar ist indessen, wie sich die eigene Firma zu einer „Data-driven Company“ weiterentwickeln kann. Lars Schlömer, Head of Business Intelligence bei Sopra Steria Consulting, erläutert im Interview, welche Herausforderungen bewältigt werden müssen, damit aus Daten tatsächlich Wettbewerbsvorteile werden.

Herr Schlömer, Unternehmer setzen große Erwartungen in Big Data. Woran liegt es, dass die wenigsten Projekte bislang über ein „Laborstadium“ hinauskommen?

Die permanent steigende Datenflut birgt ein erhebliches Geschäftspotenzial – davon sind 9 von 10 Führungskräften in Industrie und Wirtschaft überzeugt. Dies hat nicht zuletzt unsere Potenzialanalyse zum Thema gezeigt. Allerdings verwendet nur eine Minderheit der befragten Unternehmen schon jetzt datenbasierte Analysen und Prognosen systematisch für die eigene Geschäftstätigkeit. Stattdessen trifft mehr als die Hälfte der Befragten wichtige Entscheidungen nach wie vor intuitiv. Offenbar gibt es eine tiefe Kluft zwischen theoretischer Einsicht und der Fähigkeit zur praktischen Umsetzung.

Lars Schlömer Foto: Sopra Steria
Lars Schlömer Foto: Sopra Steria

Was sind dafür die Hauptursachen?

Die meisten Unternehmen haben bei der Umsetzung noch einen weiten Weg vor sich. So ist auch nur ein Viertel der Entscheider mit der aktuellen Umsetzung von Data Science im Unternehmen sehr zufrieden. Probleme liegen in einer unzureichenden Datenbasis, mangelnden personellen und technischen Ressourcen, fehlendem Verständnis für datengetriebene Prozesse, der organisatorischen Verankerung oder auch im Datenschutz. Häufig fangen die Probleme aber schon bei der Begrifflichkeit und den Erwartungen an. Big Data ist eines der aktuellen Hype-Themen und dazu gehört, dass es nicht scharf umrissen ist – jeder kann sich seine eigene Vorstellung machen und diese ist meist mit Illusionen verbunden.

Welche zum Beispiel?

Am häufigsten ist die Annahme, Big Data wäre einfach. Viele Hersteller verkaufen Technologien als Problemlösung. Doch die Technologien sind nur das Werkzeug. Das Problem müssen die Mitarbeiter definieren. Sie müssen Einflussfaktoren bestimmen, Zusammenhänge erkennen und Lösungsansätze erarbeiten. Damit wird deutlich, dass Big Data auch nicht billig zu haben sein kann. Die Basistechnologien, Commodity Hardware und Open Source-Software sind in der Tat vergleichsweise günstig. Damit ist jedoch noch nichts gewonnen. Je weniger ein System kostet, je weniger intelligent es „verbaut“ ist, umso mehr Know-how wird auf Anwenderseite benötigt. Die Programmierung einer Big Data-Abfrage ist oft komplex und damit teuer.



Da ist es gut, dass laut Ihrer Analyse fast alle Unternehmen Investitionen geplant haben.

Im Grunde ja. Nahezu alle Unternehmen wollen in den nächsten zwölf Monaten in Data Science investieren, über die Hälfte sogar mehr als im Jahr zuvor. Dabei sollen die finanziellen Mittel vor allem in Analyse-Tools, Technologien und IT-Anwendungen sowie in die Neueinstellung bzw. Ausbildung von Data-Science-Experten fließen.

Und diese sind noch rar gesät. Was kennzeichnet einen guten Data Scientist?

Auf dem Arbeitsmarkt sind Data-Science-Spezialisten in der Tat Mangelware. Für erfolgreiche Projekte braucht es keine reinen Statistiker, sondern Personen mit Gespür für Management-Themen und Verständnis für interne Prozesse, die darüber hinaus Daten verständlich aufbereiten können. Die Universitäten sind darauf noch nicht eingestellt. Unsere Empfehlung lautet daher, nach Möglichkeit passende Kandidaten aus der eigenen Belegschaft in Data Science auszubilden. Auch deshalb, weil die angehenden „Datenwissenschaftler“ die Firma und die Branche aus persönlicher Erfahrung kennen. Beim Aufsetzen des Projekts kann dann externe Expertise eine wichtige Hilfestellung leisten.

Wie sollten Unternehmen bei der Etablierung von Data Science Projekten am besten vorgehen?

Am Beginn steht idealerweise die Ausarbeitung eines individuellen Data-Science-Fahrplans. Dazu gehört zunächst eine unternehmensweite Bestandsaufnahme quer durch alle Abteilungen. Diese gibt Aufschluss darüber, in welchen Geschäftsbereichen mittels Data Science am ehesten ein greifbarer Mehrwert zu erwarten ist. Im Gegensatz zu konventionellen, stark strukturierten Business-Intelligence-Modellen kommt es beim Data-Science-Einsatz auf eine möglichst breite Perspektive an: Insbesondere unstrukturierte Informationen und solche aus scheinbar exotischen Quellen sollten bei der Zusammenschau nicht übersehen werden – beispielsweise Social-Media-Posts oder Statusmeldungen von sensorgesteuerten Produktionsanlagen. Der Ausgangspunkt wird jedoch in dem fachlichen Anwendungsfall gelegt.

In welchen Unternehmensbereichen bringen Datenanalysen den größten Nutzen?

Auch bei der Abschätzung möglicher Anwendungsfälle ist Weitsicht gefragt. Wer hier nur an den Vertrieb und das Kundenmanagement denkt, verkennt die Möglichkeiten, per Data Science bislang nicht bekannte Zusammenhänge aufzudecken. Hochinteressant können datenanalytische Erkenntnisse auch für das Personalwesen, im Business Development oder bei der Qualitätssicherung sein. Breit gefasste Datenanalysen zeigen zum Beispiel unvermutete Korrelationen zwischen minimalen Abweichungen bei der Rohstoffqualität und dem Prozessverlauf eines Maschinen- und Anlagenparks auf.

Big Data wird häufig auch mit Big Brother assoziiert. Welche Herausforderungen stellen sich beim Datenschutz?

Die Frage was Big Data kann und darf, ist tatsächlich relevant. Geschäftliches Wissen, das durch die Verknüpfung von Informationen aus unterschiedlichsten Quellen entsteht, unterliegt selbstverständlich denselben gesetzlichen Datenschutz- und Sicherheitsbestimmungen wie die ursprünglichen Ausgangsdaten. Das gilt erst recht, wenn wie bei Social-Media-Analysen personenbezogene Informationen eine Rolle spielen. Die Anpassung der rechtlichen Rahmenbedingungen hinkt dem Digitalisierungstempo in Deutschland und Europa bekanntlich hinterher. Bei der Planung von Data-Science-Investitionen ist daher zu beachten, dass manches Geschäftsmodell auf rechtlich wackligem Fundament gebaut sein könnte. Noch ist unklar, wohin die gesellschaftliche Meinungsbildung in puncto Datennutzung geht.

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