„Im Senegal wären vielleicht schon 300 BOTs geschrieben“

Macht die Digitalisierung menschliche Intelligenz überflüssig? Im Gegenteil, ist Sven Ewert vom gleichnamigen Softwareunternehmen in Landau überzeugt. Sein Standpunkt: Menschliche Intelligenz wird, digital aufbereitetet, so mächtig, dass es Gesellschaften weltweit komplett verändert – am meisten dort, wo Wissen immer noch die knappste Ressource ist.

Herr Ewert, Sie entwickeln Software zur Effizienzsteigerung in Unternehmen, aber ihr eigentliches Thema ist der Wissenstransfer im Zuge der Digitalisierung. Wie passt das zusammen?

Seit der Erfindung des Buchdrucks folgt Wissenstransfer dem immer gleichen Muster: Grundwissen erlernen, Expertenwissen ausbilden, Wissen durch Experten anwenden lassen. Das ist ein sehr langsamer und ineffizienter Prozess. Mangelndes oder verzögertes Feedback hemmt die Weiterentwicklung von Expertenwissen zusätzlich. Unser Ansatz ist, jegliche Art von Expertenwissen, sei es im gewerblichen, wissenschaftlichen oder privaten Bereich, auf Laien übertragbar zu machen, indem wir es in leistbare und im Kontext gestellte atomare Aufgaben gliedern. Dafür bieten wir mit unserer Software ANTON digisuite die technische Basis.

Youtube-Tutorials zum Beispiel haben den Wissenstransfer doch bereits stark verändert.

Ja, aber die Art des Lernens und die Anwendung von Wissen wird sich in der zukünftigen Generation komplett auf neue Füße stellen. Sie wird darauf verzichten können, sich im Moment nicht benötigtes Wissen anzueignen. Es wird dann eher darum gehen, das, was ich aktuell in meiner Situation brauche, zu vertiefen. Selektives Wissen abzurufen ist heute längst nicht mehr das Problem, aber es wird bis jetzt noch falsch angewandt.

Wie kann die Digitalisierung diese Wissensaneignung unterstützen? Durch Künstliche Intelligenz?




Nicht unbedingt. Digitalisierung hat immer dieses eine Ziel: Wie bringe ich einen Computer dazu, das zu tun, was ich bisher selber machen musste? Wir setzen dabei auf Menschliche Digitale Intelligenz (MDI). Im Gegensatz zur Künstlichen Intelligenz (KI), die durch Bilderkennung, Sensorik oder maschinelles Auslesen von Informationen riesige Datenmengen gewinnt, operiert MDI mit kleinen, aufgespaltenen Datenmengen. Experten strukturieren sie, ergänzen sie mit weiteren multimedial aufbereiteten Informationen und stellen sie dem Laien prozessbegleitend zur Verfügung. Solche prozessbegleitenden Aufgaben nennen wir BOT. Kurz gesagt: MDI berücksichtigt den Faktor Mensch – und holt menschliches Feedback ein, um zu einer optimalen Lösung zu kommen.

Wie wirkt sich diese Art des Wissenstransfers konkret auf die Effizienz von Arbeitsprozessen aus?

In einem normalen Bürobetrieb hat man einen wertschöpfenden Anteil an Arbeit von rund 50 Prozent. Die anderen 50 Prozent sind aus der Perspektive der Arbeit gesehen verschwendete Zeit. Im gewerblichen Bereich liegt die Effizienz bei etwas über 60 Prozent, weil dieser Bereich maschinenbedingt besser organisiert ist.

Haben Sie eigene Erfahrungen damit?

Als wir vor 16 Jahren mit einem E-Commerce-Unternehmen in der Werbeartikelbranche begonnen haben, hatten wir noch Margen von über 30 Prozent. Die Margen sind langsam aber stetig gesunken und wir waren gezwungen, diese Lücke durch mehr Effizienz auszugleichen. So entstand die Idee für unsere Softwareumgebung ANTON digisuite. Heute betreiben wir den Werbeartikelhandel als Forschungs- und Entwicklungsumgebung und können sagen, dass wir die gleiche Arbeit mit Hilfe von BOTs in weniger als der halben Zeit erledigen – und das mit nur einer Mitarbeiterin. Wenn Aufgaben gebündelt und zum richtigen Zeitpunkt erledigt werden, steigert das enorm die Effizienz. Da entsteht eine ganz andere Dynamik, die große Freiräume schafft.

Bergen diese Freiräume nicht auch Gefahren?

Natürlich bringt die Digitalisierung erst einmal etwas Desruptives mit sich, und das macht Angst. Effizientere Arbeit bedeutet aber nicht unbedingt Personalabbau, sondern kann auch eine Steigerung wertschöpfender Tätigkeiten bewirken. Bei einem Handelsunternehmen kann dies beispielsweise die Erweiterung des Angebots sein.

Wegrationalisiert werden vor allem die schlechten Jobs. Und wieso sollten die Jobs, die danach kommen, noch schlechter sein?

Arbeit wird sich dann so verändern, dass ichlauter kleine Doings mache, die ich aufgrund meiner Spezialisierung besser kann als ein anderer. Ich habe also kein statisches Arbeitsverhältnis mehr. Noch sind die nötigen Plattformen dafür aber nicht wirklich gut ausgebildet.

Weniger gesicherte Einkommen, noch stärkere Leistungsorientierung, größere Angebotsvielfalt und nicht zuletzt mehr Freizeit – eine interessante Mischung…

Das alles wird nur mit einem bedingungslosen Grundeinkommen funktionieren – finanziert unter anderem durch höhere Preise und eine Umverteilung des Besitzes –, das ich mit meinen persönlichen Skills aufstocke. Die Menschen werden ihre gewonnene Freizeit dafür verwenden, Dinge zu machen, für die sie heute keine Zeit haben, zum Beispiel mit Hilfe eines BOTs endlich den Pool im Garten bauen, und zwar selbst – statt für 25.000 Euro, die der Fachmann kosten würde, für 8.000 Euro – weil sie wissen, wie es geht und weil sie endlich die Zeit dazu haben. Das ist wirkliche Lebensqualität. Wir werden freier in unseren Entscheidungen, auch in der Entscheidung zu Konsumieren. Menschen wollen konsumieren und letztlich geht es darum, diesen Konsum in Wiederkonsum umzusetzen.

Konsum hat sich bereits durch das Internet und sehr stark durch das Smartphone verändert. Kommt der Handel überhaupt nach?

Für mich ist es tatsächlich nicht eingängig, dass sich der Handel so wenig um Prozessveränderungen kümmert. Wenn ich mir Amazon anschaue: Die machen nichts anderes als die Digitalisierung ihrer Prozesse. Der Handel lässt da Effektivitätschancen liegen, die Amazon nutzt und Branche um Branche schluckt – als nächstes mit Amazon fresh die Lebensmittelbranche. Der Handel muss sich dringend bewegen.

Haben kleinere Handelsunternehmen überhaupt noch eine Chance?

Größere Unternehmen haben natürlich mehr Möglichkeiten zu investieren, um wachsen zu können. Wenn beispielsweise ein Großkonzern eine Marketingabteilung für fünf Millionen Euro im Jahr beschäftigt, ist der Anteil pro Kunde an diesen fünf Millionen Euro verschwindend gering. Ein kleiner mittelständischer oder ganz kleiner Unternehmer hat auf den einzelnen Kunden umgerechnet viel höhere Kosten. Diesen Unterschied durch die Mittel der Digitalisierung zu egalisieren und in ein Gleichgewicht zu bringen, darum geht es. Nur so haben die kleinen und mittleren Unternehmen eine Chance, in dringend notwendige Skalierungsprozesse zu kommen. Denn die größten Skaleneffekte sind immer dort, wo die meisten Prozesse abgeleistet werden müssen.

Aber verursachen BOTs nicht neue Kosten, die den Vorsprung durch mehr Effizienz wieder schmälern?

Nein, denn BOTs haben wesentliche Kostenvorteile. Ein BOT wird nicht in einer Programmiersprache verfasst wie etwa eine App, sondern den kann jeder schreiben. Außerdem sind BOTs viel feingranularer auf die verschiedenen Problematiken zugeschnitten, also auch inhaltlich viel effizienter. Die Qualität stimmt aber nur dann, wenn das gemeinsame Wissen wiederum mehreren zur Verfügung steht und nutzbar ist – das ist die Ressource, die wir adressieren. Wenn beispielsweise jemand in seinem Spezialgebiet eine bestimmte Branchenlösung mit der ANTON digisuite entwickelt, die andere aus der Branche adaptieren können, dann kriegt er von uns eine Provision, sobald wir diese Branchenlösung verkauft haben.

Können das Apps nicht schon längst leisten?

Nein, Apps sind viel zu allgemein und zu statisch. Eine Fitness-App zum Beispiel kann gerade noch nach Mann und Frau unterscheiden, aber zum Beispiel nicht nach Persönlichkeitstyp. Der BOT kann das berücksichtigen. Oder ein anderes Beispiel: Ein Brunnenbau-BOT, der hier in Deutschland funktioniert, interessiert Afrikaner nicht, weil sich der Brunnenbau-BOT hier hauptsächlich um die gesetzlichen Vorschriften kümmert. In Afrika geht es zuerst darum, wo ich überhaupt Wasser finde. Eine App ist also dann sinnvoll, wenn man eine sehr große Zielgruppe damit adressieren kann. Wenn ich aber eine Zielgruppe habe, bei der es darauf ankommt, dass mein Inhalt dem Charakter und den jeweiligen Skills entsprechend formuliert ist, dann kann ich nicht mit einer App arbeiten.

Das Beispiel mit dem Brunnen zeigt, dass sich da weltweit ungeahnte Möglichkeiten bieten.

Das stimmt. Ich hatte eine beeindruckende Begegnung mit einer kenianischen Anwältin, der ich das BOT-Modell am Beispiel des Brunnenbaus erklärt habe. Sie fragte, ob unsere Software ANTON auch einen BOT entwickeln könne, wie man eine Kaffeerösterei betreibt. Dann müsse der Kaffee in ihrer Heimat nicht mehr zur Verarbeitung nach Europa exportiert werden. Das zeigt: Je näher am Existenzminimum, desto schneller und einfacher werden die Chancen, die solche BOTs bieten, erkannt. Würden wir ANTON irgendwo im Senegal entwickeln, wären vielleicht schon die ersten 300 BOTs geschrieben.

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